Kapitallebensversicherung / Rentenversicherung
Verlangen nach Rückzahlung der jahrelang gezahlten monatlichen Beiträge
Zurück zur ArtikellisteIn den Jahren seit 2009 scheinen sich die Fälle gehäuft zu haben, in denen Versicherungsnehmer (VN) einer Kapitallebensversicherung oder privaten Rentenversicherung den Wunsch haben, sich von dem Vertrag zu lösen und ihr eingezahltes Kapital zurückzuerlangen. Nicht selten sind schon beachtliche Beträge über 7 bis 10 oder mehr Jahre eingezahlt worden, oder es ist größeres Kapital als Einmaleinlage in eine private Rente investiert worden. Die Idee war im Allgemeinen, privat vorzusorgen, so dass dann irgendwann nach dem 60. Geburtstag mehr Geld bzw. mehr Rente zur Verfügung steht.
Manchmal lässt sich vermuten, dass die Finanzkrise, die vielen von uns seit September 2008 mehr und mehr ins Bewusstsein gerückt ist, Zweifel hat aufkommen lassen. Es hat den Anschein, dass viele Leute nicht mehr glauben, dass die Lebensversicherung oder private Zusatzrente eine kluge Entscheidung war. Denn tatsächlich ist seit Herbst 2008 die Geldmenge laufend enorm erhöht worden, und durch die „Bankenrettungen“ und mittels ungedeckter Kreditvergabe verhinderten „Staatspleiten“ haben sich die Zinsen seit Frühjahr 2009 gen Null bewegt. Folge: Praktisch keine Rendite mehr bei Lebens- und Rentenversicherungen.
Mit dem Argument, dass man die damalige Entscheidung bereut, und sich mit dem Geld jetzt viel lieber ein Haus kaufen oder schöne Reisen gönnen würde, lässt sich das Geld nicht zurückfordern. So viel ist klar. Weniger klar ist aber bis heute und wohl auch weiterhin, welche juristischen Konstruktionen in Einzelfällen erfolgreich angewandt werden können, um ohne nennenswerte Verluste aus Verträgen rauszukommen. Während es sich immer lohnen kann, die Möglichkeit im Einzelfall nüchtern zu prüfen, sei vor allzu großem Grundoptimismus gewarnt. Denn dass es vielfach um „Vertragsreue“ geht, lässt sich schwer verbergen und ist der Justiz auch bekannt. Es ist grundsätzlich nicht unbedingt im Interesse der Regierung, und auch nicht im generellen Interesse der Justiz, dass Wege geschaffen werden, nach diversen Jahren aus Lebens- und Rentenversicherungen schadenfrei auszusteigen. Die Begründung im Einzelfall muss deswegen schon wirklich überzeugen.
Das oft vorgetragene Argument, man habe den Vertrag damals nicht verstanden und sei auch von dem Vermittler (Bankberater, Agent, Makler) ganz anders informiert und offenbar falsch aufgeklärt worden, ist per se oft nicht überzeugend, wenn es erst geltend gemacht wird, nachdem auf den Vertrag viele Jahre widerspruchlos eingezahlt worden ist. Eine solche Darstellung ist dann oft nicht glaubhaft; insbesondere gilt dies, wenn das Lesen eines gut verständlichen Vertrages zur vollständigen Aufklärung genügt hätte. Dass man Jahre lang monatliche Beiträge zahlt, ohne sich einen Versicherungsschein angesehen zu haben, glauben Gerichte eher selten.
Der Beweis einer klar falschen Beratung durch Bankberater oder Agent – Beispiel: Vorgeben eines vermeintlichen Rechts auf spätere Kündigung und volle Kapitalauszahlung – kann zwar gelingen, aber die Beweishürde ist relativ hoch. Man bräuchte einen glaubwürdigen neutralen Zeugen, der bei dem Verkaufsgespräch dabei war, vor allem wenn eine gravierende Falschberatung dargelegt wird. Ich selbst würde in solchen Situationen tendenziell nur zu einer Klage raten, falls vorab schon privatschriftliche Zeugenerklärungen vorliegen, die überzeugend wirken. Denn eigentlich nur dann lässt sich einschätzen, dass die Aussicht besteht, dass der Beweis geführt wird, dass der Agent beim Verkauf z.B. erklärt hat, man könne nach Jahren auf eigenen Wunsch wieder über das eingezahlte Kapital verfügen.
Bekannt ist, auch in der Justiz, dass eine Motivation für Fehlverhalten von Vermittlern darin liegen kann, für die Vermittlung solcher Verträge wie Rentenversicherungen hohe Provisionen gezahlt werden. Hier kann naturgemäß ein gesteigertes Interesse bestehen, solche lukrativen „Finanzprodukte“ an den Mann zu bringen. Dabei kann es unter Umständen notwendig werden, den Widerstand eines Kunden zu überwinden, indem gute Seiten eines Produktes vorgespiegelt werden. So funktioniert teilweise – leider – Verkauf.
Ein anderer häufiger Ansatz ist die Suche nach formalen Fehlern des Versicherers. Das kann funktionieren, denn gerade auch solche Gesetze im Versicherungsrecht, die Förmlichkeiten regeln, sollen meistens gezielt den Verbraucher schützen. Es gibt einige Bestimmungen, an die sich, nach praktischer Erfahrung, manche Versicherer nicht gehalten haben. Obendrein rühren eine Reihe Normen vom europäischen Gemeinschaftsrecht, z.B. von Richtlinien der EU, her, mit der Besonderheit, dass diese als „Europarecht“ einerseits verbindlich sind, andererseits dennoch in deutsches Recht umgewandelt werden. Auf diese Weise sind in Brüssel erdachte Normen in den vergangenen Jahrzehnten auch in das Versicherungsvertragsgesetz gelangt. Diese Umsetzung von Brüsseler Normen in deutsches Recht schafft die Möglichkeit von Fehlern, weil schlicht und ergreifend die deutschen Gesetze hinter Vorgaben des EU-Rechts zurückbleiben können, d.h. Vorgaben gegebenenfalls in Details nicht stringent genug umgesetzt werden. Es existiert also ein bürokratisierter Rechtsraum, der einen gewissen Nährboden für „Normverstöße“ eines Versicherers darstellt. Und hier – bezogen auf unser Thema – kann man zuweilen fündig werden, wenn man juristische Gründe sucht, seine Kapital- oder Rentenversicherung anzufechten.
Es gibt aber auch bei förmlichen Fehlern keine durchweg verbraucherfreundliche Rechtsprechung. Gerade auch Anwälte, die einen Mandanten in solchen Fällen vertreten, sind sicher gut beraten, die Seriosität des eigenen Vorhabens unvoreingenommen zu würdigen. Auch wenn man einen ziemlich klaren formalen Rechtsverstoß entdeckt, sollte man das Gesamtbild sehen: Hat der Mandant 6 Jahre anstandslos die Monatsbeiträge überwiesen, ist es kritisch, sich dann erstmals auf einen Formfehler beim Vertragsabschluss zu berufen. Hier ziehen Gerichte auch gerne mal die Rote Karte, weil sie auch das Vertrauen des Versicherers auf den Bestand eines über viele Jahre unstreitigen Vertrages als schutzwürdig erachten.
In diesem Sinn halte ich die beliebt gewordene Idee für kritisch, zu argumentieren, ein Versicherungsvertrag sei nicht wirksam zustande gekommen, weil keine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerspruchsrecht erfolgt sei, und das berühmte „Policenmodell“ mit den Richtlinien der Europäischen Union über Lebensversicherungen nicht vereinbar sei. Ein Versicherungsnehmer könnte dabei einen Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. und Widerspruch nach § 8 VVG erheben, ferner einen Widerruf nach § 355 BGB, und könnte vorsorglich eine Anfechtung nach §119 Abs. 1 BGB aussprechen, und hilfsweise die Kündigung erklären. Konsequent würde der Versicherungsnehmer sodann Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge plus Zinsen verlangen, denn nach Auffassung des VN wäre der Versicherungsvertrag gar nicht wirksam zustande gekommen.
Ich denke nicht, dass diese Vorgehensweise in der Regel ohne weiteres bei den Gerichten Erfolg hat.
Meistens liegen die Dinge so, dass der VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen, eine Verbraucherinformation und eine Widerspruchsbelehrung erhielt. Im Normalfall ist es so, dass die Widerspruchsbelehrung drucktechnisch deutlich hervorgehoben wurde, und den Beginn und die 30-tägige Dauer der Widerspruchsfrist sowie die Form des Widerspruchs umfasste. Tatsächlich haben Versicherer öfters versäumt, zum Beispiel den Begriff Textform zu erläutern, der im Jahr 2002 zusätzlich zur Schriftform ins BGB aufgenommen wurde. Der VN konnte aber dennoch, objektiv, der Belehrung meistens ohne weiteres entnehmen, dass der Widerspruch in lesbarer Form dem Versicherer übermittelt werden muss, dass erkennbar sein muss, dass der Widerspruch von ihm als Urheber stammt, und dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genügt.
Man sollte das große Bild sehen. Die Rechtsprechung wird im Regelfall nicht bereit sein, per Urteil Versicherungsverträge wegen formalen Verstößen gegen EU-Recht zu annullieren, wenn der Versicherungsnehmer vorher jahrelang als treuer Vertragspartner die Beiträge gezahlt hatte, um sich dann nach plötzlich eines Besseren zu besinnen und sein Geld zurückzufordern. Die Justiz sieht in dem eigenen Verhalten des VN dann oft einen zu deutlichen Widerspruch. Die Gerichte werten es gegebenenfalls als treuwidrig, dass der VN trotz ordnungsgemäßer Belehrung von der Möglichkeit, dem Vertrag ohne Nachteile binnen 30 Tagen zu widersprechen, keinen Gebrauch machte, dann die jahrelange regelmäßige Prämienzahlung aufnahm, um sich dann schließlich gegen den Vertragsschluss zu wenden.
Der Wunsch vieler Leute, ihre Kapital- oder Rentenversicherungen zu revidieren, ist menschlich und wirtschaftlich sehr verständlich. Dass diese als Geldanlagen meist nicht viel taugen, ist inzwischen vielen von uns bewusst. Ob es juristisch gelingen wird, den Fehler ungeschehen zu machen, bleibt der kritischen Einzelfallprüfung vorbehalten.
Ulrich Retzki
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Rechtsanwalt