Ulrich Retzki Berlin Kanzlei für Versicherungsrecht

Private Unfallversicherung

Zum Freiwilligkeitsnachweis in der privaten Unfallversicherung i.S.v. § 180a VVG a.F., berichtet von Rechtsanwalt Ulrich Retzki

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Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der Zivilkammer des Landgerichts ….. vom …… abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 115.000,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem …… zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung ………...

Aus den Gründen:
Die Klägerin begehrt die Invaliditätsleistung aus einem Unfallversicherungsvertrag, den sie am (Datum) beantragt hatte. Dieser hat sich am ….. im Garten des Anwesens …. an einer Tischkreissäge den linken Daumen abgesägt. Die Beklagte hat die Leistung nach Einholung eines rechtsmedizinischen Gutachtens abgelehnt; es habe sich um eine freiwillig beigebrachte Selbstverstümmelung gehandelt. Die Klägerin ging in Berufung.

Das Landgericht hat die Klage, die auf Zahlung von 100.000,- € nebst Zinsen sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten von ……. € gerichtet gewesen ist, nach Beweisaufnahme – Vernehmung der Zeugen P. und M. sowie Einholung eines rechtsmedizinischen Gutachtens des Herrn Prof. Dr. E. - abgewiesen.

Es hat sich davon überzeugt gesehen, dass der Ehemann sich den Daumen freiwillig abgesägt hat, um die Versicherungsleistung zu erlangen. Gegen eine Unfreiwilligkeit des Geschehens spreche schon die isolierte Verletzung nur des Daumens ohne Begleitverletzungen am Zeigefinger; die Einnahme ausgerechnet der für den glatten Abschnitt des Daumens erforderlichen sog. Exekutionshaltung sei unwahrscheinlich. Es gebe – seitens der Klägerin, des Zeugen ... sowie des Zeugen … – drei untereinander abweichende Darstellungen zu dem angeblichen Unfall. Die Aussage des Zeugen … sei nicht glaubhaft; mit der geschilderten Armhaltung, die unvereinbar mit dem Vortrag in der Klagschrift sei, könne es nicht zu der Exekutionshaltung gekommen sein. Dem Zeugen ... sei nicht abzunehmen, dass er sich nicht mehr erinnern könne; zudem schildere er das Randgeschehen sehr detailreich, den eigentlichen Unfallhergang aber nicht.

Daneben sprächen auch der Abschluss gleich zweier Unfallversicherungen mit erheblichen Versicherungsleistungen bei finanziellen Schwierigkeiten der Familie und die Abweisung eines Insolvenzantrags mangels Masse am ……. für einen absichtlich herbeigeführten Versicherungsfall. In die gleiche Richtung deute das angebliche Verschwinden des Amputats, ein häufiger Begleitumstand bei selbstbeigebrachten Verletzungen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie macht geltend, dass das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung verkannt hat, dass ein Unfallereignis im Sinne der Versicherungsbedingungen feststeht. Den Beweis der Freiwilligkeit hat – wie die Berufung betont - die Versicherungsgesellschaft nicht geführt. Ihr Versuch mit dem Parteigutachten des Prof. Dr. ... sei fehlgegangen, denn die – zu erwartende - weitergehende Gesundheitsbeschädigung durch Sturz war bereits nachgewiesen. Nicht anders stelle es sich nach dem Gerichtsgutachten dar. Schon deshalb könne Zweifeln an der Unfreiwilligkeit nicht Schweigen geboten werden.

Was die Bewertung der Zeugenaussagen angehe, so hat das Landgericht verkannt, dass sich das Unfallereignis in Sekundenbruchteilen abgespielt habe; die geringfügigen Abweichungen der beiden Zeugendarstellungen sprechen – entgegen der Würdigung des Landgerichts – nicht gegen, sondern gerade für deren Glaubwürdigkeit. Was die vom Landgericht angeführten weiteren Umstände angehe, so hat es – so die Berufung - verkannt, dass es sich dabei allenfalls um Indizien handelt, die in der Gesamtschau hinter die als Ergebnis der Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen zurücktreten müssten.

Die Versicherungsesellschaft verteidigt das angefochtene Urteil. Im Streitfall fänden sich alle klassischen Indizien, die für eine freiwillige Selbstverstümmelung sprächen, namentlich eine desolate finanzielle Situation der Familie, der Abschluss gleich zweier Unfallversicherungsverträge nur wenige Wochen vor dem angeblichen Unfall und kurz nach Ablehnung des Insolvenzantrags mangels Masse, ein krasses Missverhältnis zwischen den versicherten Summen und Prämien und den Lebensverhältnissen der Familie, das jeweils gewählte Vertragsmodell mit hohen Versicherungsleistungen bei verhältnismäßig geringfügigen Verletzungen, wechselnde, widersprüchliche und immer vager werdende Unfallschilderungen, ein nicht vernünftig erklärtes Verschwinden des amputierten Daumens und ein abgelegener Schadensort. Schließlich sei die isolierte Verletzung des Daumens nur bei einer bestimmten untypischen Handhaltung medizinisch plausibel.

Das Oberlandesgericht hat in der mündlichen Verhandlung die Klägerin persönlich gehört.
Die Berufung hat Erfolg, §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 ZPO.

Die beklagte Versicherungsgesellschaft ist aus dem zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherungsvertrag zur Leistung verpflichtet.

Nach Ziffer 1.1. der einbezogenen Versicherungsbedingungen - AUB …. - bietet die Beklagte Versicherungsschutz bei Unfällen. Ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen hat stattgefunden. Ein solcher liegt gemäß Ziffer 1.3 AUB ….. vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erleidet. Vorliegend ist nicht zweifelhaft, dass dem Ehemann durch die Einwirkung der Kreissäge der linke Daumen abgetrennt worden ist. Der Verlust des Daumens als solcher ist unstreitig und im Übrigen durch die Lichtbilder und die Gutachten belegt. Ort und Zeit des Verlustes ergeben sich aus dem Aufnahmebericht des Krankenhauses …. vom …... Es kommt auch eine andere Ursache als die Einwirkung der Kreissäge nicht in Betracht. Streitig ist allein die Unfreiwilligkeit der Verletzung. Diese wird indes nach § 180 a VVG a. F. zugunsten des Versicherungsnehmers vermutet, was zur Folge hat, dass bis zum Beweis des Gegenteils das Merkmal als gegeben anzusehen ist. Vorliegend hat indes die Versicherungsgesellschaft den Beweis, dass der Verlust des rechten Daumens des Zeugen H. auf eine freiwillige Gesundheitsbeschädigung zurückgeht, entgegen der Annahme des Landgerichts nicht geführt, § 286 ZPO.
Der Beweis kann – wie stets und regelmäßig insbesondere in Fällen, in denen wie hier die beweispflichtige Partei aus eigener Wahrnehmung über den behaupteten Vorgang nichts wissen kann – auch im Wege des Indizienbeweises geführt werden. So ist er, bezogen auf das Merkmal der Freiwilligkeit, etwa dann als geführt anzusehen, wenn feststeht, dass die Unfallschilderung des Verletzten nicht zutreffen kann, weil sie in wesentlichen Punkten mit der Realität oder mit ärztlichen Befunden nicht übereinstimmt oder weil sich die behauptete Verletzung nur durch ganz abnorme, unwahrscheinliche Umstände erklären ließe (vgl. BGH, VersR 1985, 940……); in letzterer Hinsicht reicht indes nicht schon jede beliebige Lücke oder Ungenauigkeit in der Unfallschilderung für die Widerlegung der Unfreiwilligkeitsvermutung aus (vgl. BGH, RuS 1991, 285). Neben dem Geschehensablauf selbst kann aber auch das Verhalten des Verletzten vor und nach dem Unfall Anhaltspunkte für eine freiwillige Selbstverstümmelung geben; solche können sich etwa aus angespannten wirtschaftlichen Verhältnissen, einem unverhältnismäßig hohen Versicherungsschutz, einem erst kurz vor dem Unfallereignis erfolgten Vertragsabschluss, Äußerungen des Verletzten vor und/oder nach dem Ereignis ergeben (vgl. Prölss/Martin-Knappmann, VVG, Kommentar, 27. Auflage, § 180 a, Rn 10; Grimm, Unfallversicherung, AUB-Kommentar, 4. Auflage, § 1 AUB 99, Rn 43, jeweils m. w. N.). Insoweit ist – wie ebenfalls stets beim Indizienbeweis – im Rahmen der Beweiswürdigung eine umfassende Gesamtschau aller Umstände vorzunehmen. Der Beweis ist geführt, wenn sich daraus ein solcher für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit einer freiwilligen Beschädigung ergibt, dass Zweifeln, ohne dass sie ganz ausgeschlossen würden, Schweigen geboten wird.

An diesem Maßstab gemessen, steht nach dem Inbegriff der mündlichen Verhandlungen die Freiwilligkeit der Verletzung nicht fest, §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 286 ZPO. Die gegebenen Indizien sind – auch in ihrer Gesamtheit – im Ergebnis nicht geeignet, diesen Schluss mit hinreichender Gewissheit zu tragen; vielmehr müssen, wenngleich vieles für die Freiwilligkeit spricht, erhebliche Zweifel verbleiben.
Es ergeben sich allerdings in der Tat gewisse Anhaltspunkte für einen bewusst herbeigeführten Versicherungsfall aus dem Umstand, dass sich die Klägerin und ihr Ehemann in angespannten finanziellen Verhältnissen befunden haben. Ein Insolvenzantrag des Finanzamts ist am …., vor Antragstellung für den Versicherungsvertrag, mangels Masse abgewiesen worden. Nach der Insolvenzakte sollen Verbindlichkeiten in einer Größenordnung von ……,- € bestanden haben, welchen kein nennenswertes Vermögen gegenübergestanden habe. Die Klägerin selbst hat die damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie als „schlecht“ bezeichnet.
Anderseits ist, was dieses Indiz angeht, schon nicht ganz sicher, ob die im Insolvenzverfahren gemachten Angaben vollumfänglich zutreffend sind. Jedenfalls bestand danach zu der Zeit der Eingehung der Verträge keine akute Notlage. Zudem hatte die Familie von der Ablehnung des Insolvenzantrags noch keine Kenntnis.
Weiter ist, wie der Beklagten zuzugeben ist, auffällig, dass sich die Klägerin trotz angespannter wirtschaftlicher Lage bereit gefunden hat, mit den beiden neu abgeschlossenen Versicherungen noch zusätzliche finanzielle Verpflichtungen einzugehen.

Andererseits hat die Klägerin es vermocht, für ihr Handeln ein plausibles Motiv anzugeben. Es hatte früher bereits ernsthafte Verletzungen gegeben……. Insbesondere der zweite Vorfall erscheint noch als relativ zeitnah zu der Eingehung der Versicherungsverträge. Vor dem Hintergrund, dass – gemäß den Angaben der Klägerin – im Unterschied zu ihr der Ehemann selbst einen Versicherungsschutz für nicht erforderlich hielt, ist es nicht abwegig, dass die Klägerin sich nach einiger Überlegung dazu entschloss, auf eigene Rechnung dafür zu sorgen.

Als auffällig erscheint des Weiteren prima facie, dass sich die Gesundheitsverletzung nur sehr kurze Zeit nach dem Stellen der Versicherungsanträge und nach dem Beginn des Versicherungsschutzes ereignet hat. Der Antrag ist am ….. gestellt worden, der Versicherungsschutz sollte am …….. beginnen. Die Verletzung hat sich am ……. ereignet. Ein im engen zeitlichen Zusammenhang eintretender Schaden ist regelmäßig ein Indiz dafür, dass die Versicherung in der Absicht ihrer alsbaldigen Inanspruchnahme abgeschlossen worden ist.

Andererseits ist der Eintritt eines Unfalls mit dem Verlust eines Fingergliedes schon für sich genommen ein extrem unwahrscheinliches Ereignis, von dem die allermeisten Menschen zeitlebens verschont bleiben. Die zeitliche Nähe des Abschlusses zum Schaden vermag deshalb die Lage nicht mehr viel unwahrscheinlicher zu machen als sie ohnehin schon ist. Hinzu kommt im vorliegenden Fall, dass sich das streitige Unfallgeschehen in einer wiederum plausiblen und alles andere als konstruierten Situation ereignet hat. Der Klägerin sind die Umstände, die letztlich zu dem Unfall führten, abzunehmen. Diese sind lebensnah.

Als kein relevantes Indiz für eine freiwillige Selbstverstümmelung erscheint das von der Klägerin bei beiden Policen gewählte Vertragsmodell, das anders als das üblichere Progressionsmodell bereits bei verhältnismäßig geringfügiger Invalidität zu einer beträchtlichen Versicherungsleistung von …..% führt.
Es ergibt sich weder aus dem Vorbringen der Beklagten, die ihre Agenten und Vertreter hätte befragen können, noch aus den Angaben der Klägerin, dass sie insoweit eine bewusste Wahl getroffen hätte. Nach ihren Angaben ist ihr ein bestimmtes Vertragsmodell einfach verkauft worden. Dass ihr hierbei überhaupt Alternativen aufgezeigt worden wären, erschließt sich nicht.

Der eingegangene Vertrag erweist sich vielmehr auch insoweit als sinnvoll, als er – dem angegebenen Motiv der Klägerin nach – auf eine Absicherung für die Zukunft zielt. Bestandteil des vertraglichen Versprechens ist nämlich im Falle einer mindestens 50%igen Invalidität auch eine monatliche Rente von …..,- €.
Als weiteres Indiz kommt allerdings hinzu, dass eine unfreiwillige Amputation angesichts der Verletzungsfolgen als recht unwahrscheinlich erscheint. Die Möglichkeit, dass der rechte Daumen des Zeugen im Zuge eines Sturzes auf dem Sägetisch und vor dem Sägeblatt in eine gänzlich gestreckte Position (sog. Exekutionshaltung) geraten ist, besteht nur, wenn die Hand auf dem Tisch vorwärts gerutscht ist und der Ehemann sie dabei so gehalten hat, dass sein Zeigefinger genau in der Linie des Kraftvektors des Sturzes gelegen hat. Es ist fraglos unwahrscheinlich, dass seine Hand bei dem Sturz vor dem Tisch gerade nach vorn gerutscht ist; denn es gibt eine Vielzahl anderer möglicher Sturzvarianten, wenn man in einiger Entfernung vor einem Sägetisch mit Holzstücken im Arm ins Straucheln gerät. Ebenfalls ist es unwahrscheinlich, dass man dabei seinen Zeigefinger exakt lotrecht zu dem laufenden Kreissägeblatt hält; denn es gibt eine Mehrzahl von anderen Handhaltungen, die man einnehmen kann, um einen drohenden Sturz mit den Händen abzufangen, und es gibt auch eine Mehrzahl denkbarer Winkel, in denen man sich auf einen Tisch zu bewegen kann.
Andererseits ist aber eben ein solches Geschehen auch nicht ausgeschlossen. Die Amputation kann sich im Ergebnis durchaus so ereignet haben. Der gerichtliche Sachverständige hat sich dementsprechend auch jeder Quantifizierung der Wahrscheinlichkeit enthalten.

Ein lediglich schwaches Indiz für eine freiwillige Verstümmelung ergibt sich aus der Art der Angaben über den Unfallhergang. Es trifft schon im Ansatz die Bewertung der Beklagten nicht zu, dass die Angaben im Zeitablauf knapper geworden wären. Tatsächlich sind sie – vgl. die Darstellung in der Schadensanzeige vom ….. und im Gutachten .. vom …….. von Anfang an zu dem zentralen Unfallgeschehen vage gewesen.

Was des Weiteren die Qualität insbesondere der Aussagen der Zeugen ... und …. angeht, so ergeben sich daraus keine sicheren Anzeichen für eine bloß prozesstaktisch motivierte Unschärfe, die mit anderen Worten nur darauf angelegt ist, keinen Anhalt dafür zu bieten, dass die eingetretene Verletzung mit dem geschilderten Hergang nicht vereinbar ist. Die beiden Zeugen haben – auch in der Wahrnehmung beider Parteien - keine verlässlichen Angaben zu dem genauen Unfallhergang machen können. Dass beide Zeugen zwar das Rahmengeschehen vorher und nachher umfänglich und insoweit durchaus stimmig, farbig und konkret zu schildern gewusst haben, aber gerade zu dem fraglichen Kerngeschehen nur karge und unsichere Angaben gemacht haben, gibt zwar Anlass zu gewissen Zweifeln und weist darauf hin, dass das Kerngeschehen sich womöglich anders zugetragen hat. Ungleichgewichtigkeiten bei der Schilderung und eine Verknappung gerade im relevanten Kerngeschehen sind Anzeichen für eine unrichtige Aussage. Indes kann, worauf die Klägerin zutreffend hinweist, die mangelnde Erinnerung auch darauf beruhen, dass sich der Unfall so schnell und überraschend zugetragen hat, dass die Zeugen dessen Einzelheiten nicht haben registrieren können (vgl. in diesem Sinne auch BGH, RuS 1991, 285). Dies mag auch die teilweise in der Tat widersprüchlichen Angaben erklären.

Entgegen der Meinung der Versicherungsgesellschaft besteht kein Grund, die Einvernahme der Zeugen zu wiederholen. Vorliegend geht es nicht darum, dass der Senat die Glaubwürdigkeit der Zeugen anders bewerten wollte als das Landgericht, auch nicht darum, dass er die Aussagen anders als die Vorinstanz würdigen wollte. An der Glaubwürdigkeit der Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen hat vielmehr auch der Senat, wie ausgeführt, durchaus erhebliche Zweifel. Es kommt aber, anders als das Landgericht gemeint hat und augenscheinlich auch die Versicherungsesellschaft meint, nicht darauf an, ob die Klägerin mittels „ihrer“ Zeugen „den behaupteten Schadenshergang bewiesen“ hat. Vielmehr ist nach § 180a VVG a. F. die Versicherung beweisbelastet für die Freiwilligkeit der Verletzung.
Schließlich ist als ein weiteres Indiz mit einzubeziehen, dass das Amputat nicht auffindbar gewesen sein soll. Dies ist eine typische Begleiterscheinung bei freiwilligen Selbstverstümmelungen (vgl. das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen…) Ein sicheres Anzeichen liegt indes auch darin nicht; denn es ist, anders als das Landgericht (U 16) meint, durchaus nicht abwegig, dass jemand, dem ein Fingerglied abgeschnitten wird, dies im Schock der ersten Momente nicht bemerkt…..

In der Gesamtwürdigung sprechen durchaus eine Reihe von Umständen dafür, dass der Vertrag mit der Absicht der Herbeiführung eines baldigen „Versicherungsfalls“ zur finanziellen Sanierung der Familie abgeschlossen worden sein kann. Schon wegen der zeitlichen Nähe von Vertragsabschluss und Schaden, aber auch wegen der finanziellen Bedrängnis, die ein nahe liegendes Motiv abgibt, und wegen der gemessen am Einkommen verhältnismäßig hohen Prämien für gleich zwei Versicherungen, liegt das alles andere als fern. Daneben erscheint auch der angesichts der Verletzungsfolgen allein denkbare Unfallhergang als recht ungewöhnlich. Hiernach spricht durchaus auch aus der Sicht des Oberlandesgerichts eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für eine freiwillige Verstümmelung.

Gleichwohl lässt sich aus den vorliegenden Indizien eine hinreichende Überzeugung davon, dass dies tatsächlich so gewesen ist und nur so und nicht anders gewesen sein kann, nicht gewinnen. Es erscheint angesichts der konkreten Umstände immer noch als ernstlich möglich, dass der Schadenseintritt ein bloßes Unglück gewesen ist, das dem Ehemann widerfahren ist, und dass entsprechend die gegen ihn sprechenden Begleitumstände lediglich Zufälle sind. Dabei fällt ins Gewicht, dass, wie ausgeführt, jedes der überhaupt als signifikant in Betracht kommenden Indizien in seiner Aussagekraft zu relativieren ist und jeweils eine andere – unverfängliche – Lesart nicht unplausibel ist. Hinzu kommt, dass …….

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO….;
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf….
Für die Zulassung der Revision bestand kein Anlass.

Berichtet von:

Ulrich Retzki
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Rechtsanwalt